Generationen von Tüftlern versuchten vergebens, Stein in Gold zu verwandeln. Doch was die Firma Cosentino an Kunststein produziert, ist dank quasi übernatürlichen Eigenschaften fast so viel wert. Ein Werksbesuch.
Wer zu uns kommt, muss einen Grund dafür haben, sagen die Bewohner von Ost-Andalusien. Touristen verschlägt es kaum in die Provinz Almería, denn sie ist aus geografischen und meteorologischen Gründen eine natürliche Halbwüste. Die Sonne scheint hier an 320 Tagen im Jahr und es regnet nur im Winter. Das hat durchaus etwas für sich, zum Beispiel für die Filmindustrie. Unzählige Western wurden hier gedreht, von Lawrence of Arabia bis zum Schuh des Manitou. Tatsächlich wähnt man sich mal in den Rocky Mountains, mal in den trockenen Plains des mittleren Westens. Ausser an spärlicher Vegetation, rotbraunen Bergen und ebenso rotbraunen Siedlungen am Meer kann sich das Auge an nichts festhalten – ausser einem Meer von Treibhäusern, aus dem Gurken, Kiwi und Tomaten in die halbe Welt geliefert werden.
Steinreich
Oberflächlich gesehen war’s das auch schon. Doch der wahre Exportschlager – seit über 3000 Jahren – verbirgt sich unter der Erde. Dank ihm, dem weissen Marmor, wuchs im nördlich von Almería gelegenen Almanzoratal eine ganze Industrie heran. Nicht umsonst heisst die Gegend auch «Comarca de Marmol», die Marmorregion.
«Von den ersten Erwähnungen der Phönizier über den Abbau durch die Römer und Araber bis zur modernen Verarbeitung lässt sich eine direkte Linie ziehen», erklärt uns der blonde Reiseleiter Jan vor dem Steinbruch von Macael. Genauso wenig, wie man hier einen grossen, blonden Niederländer als Guide erwartet hätte, rechnet man im Innern des Geröllmassivs mit haushohen Bändern aus glitzernd weissem Gestein, das in Blöcken herausgesägt wird.
Jan hat sich in diese unwirtliche Gegend mit ihrem ganz eigenem Charme verliebt und ist geblieben. Genau wie 80 Jahre zuvor der Werkzeugmacher Giovanni Cosentino aus dem süditalienischen Cosenza. In den Marmorminen brauchte es geschickte Handwerker wie ihn, und bald begann er selber, Steine zu bearbeiten, sie zu handeln und sein Wissen an die Kinder weiterzugeben. Er hätte sich wohl nicht im kühnsten Traum vorgestellt, dass aus seiner Werkstatt einmal ein Unternehmen mit 4000 Angestellten und einem selbst entwickelten «Steinreich» werden würde. Im Geschäftsjahr 2018 soll Cosentino erstmals die Grenze von einer Milliarde Euro Umsatz durchbrechen.
Die Natur übertroffen
Nach dem Besuch des Steinbruchs zeigt sich am Hauptsitz von Cosentino, der wie ein Flughafen mit Hangars im Niemandsland liegt, ein anderes Bild. Marmor spielte zwar bis Ende 80er Jahre die Hauptrolle, doch seither hat sich die Firma mehrmals neu erfunden, und damit eine ganze Industrie. Denn die Südspanier versuchten nichts Geringeres, als die Eigenschaften natürlicher Steine zu übertreffen.
Der erste Versuch, genannt Marblestone, war kein Erfolg. Marmor war nicht geeignet für Zusätze und Bindemittel, die Qualität wich entsprechend vom Soll ab. Die Tester waren nicht begeistert und die durch Forschung und Anlagenbau hervorgerufenen Schulden brachten Cosentino in Bedrängnis. Immerhin: Das «Backrezept» und die Produktionsmittel hatte man nun, lediglich die Zusammensetzung musste optimiert werden, sagte sich die unentwegte Führungscrew. Nach umfangreichen Analysen und Tests glückten 1990 endlich zufriedenstellende Resultate mit Quarz. Es war die Geburtsstunde von Silestone, einer Mischung aus über 90 Prozent natürlichem Quarzsand sowie Cristobalit, Tridymit, Kieselglas, Wollastonit und Kunstharz. Das nicht poröse, besonders hygienische, flecken- und kratzbeständige Silestone läutete eine neue Ära ein und stellt auch über 25 Jahre später das Herzstück der Produktion dar. Wobei ihm Dekton, der nächste grosse Wurf, zusehends den Rang abläuft. Das ursprüngliche Produkt, Natursteinplatten, macht heute zwar nur noch ein Prozent des Umsatzes aus, findet zusehends neue Interessenten, erzählt Jan. Dann heisst es endlich «Helm auf, Schutzmaske vor, Kamera aus».
Stein nach Rezept
Mit Jan betreten wir zuerst die Produktion von Silestone. Wassergekühlte, laute Fräsen, Tausende Förderrollen und viele Männer in langen weissen Gummischürzen prägen das Bild. Wir könnten auf den ersten Blick in einem Schlachthaus stehen – doch es ist ein friedliches, präzises Handwerk, das hier verübt wird. Kunststein, oder wohl treffender «engineered stone» in allen Farben entsteht hier, exakt nach Kundenwunsch präpariert, gepresst und in einer Kartonform erhitzt. Nach dem Abkühlen müssen die Platten gesägt, geschliffen und kontrolliert werden, was viel Handarbeit benötigt. Und noch mehr Wasser. Jährlich braucht der Cosentino-Hauptsitz so viel Wasser wie eine Stadt mit 150 000 Einwohnern. Die werkseigene Rekuperationsanlage ermöglicht einen mehrmaligen Kreislauf. Eine weitere ökologische Massnahme ist die Erfassung von nicht perfekten Platten in einer Datenbank. Hier werden sie mit Bestellungen für kleinere Platten abgeglichen und nach dem Abschnitt der fehlerhaften Stellen verschickt.
Reduce to the max
Eine Welt für sich ist die Dekton-Fabrik gleich nebenan. Zwar entsteht auch hier Kunststein, jedoch nur aus Mineralien und Wasser, ganz ohne künstliche Bindemittel. Über 30 Meter hoch ist die gigantische Halle, damit die geheime Ausgangsmischung in Silos verarbeitet werden kann, und praktisch menschenleer. Die Produktionsstrasse ist einen Kilometer lang, Sensoren und Computer bestimmen hier das letzte Quäntchen Qualität.
Der aus Silos kommende, feuchte Brei von 20 Steinsorten wird flachgerollt und dann zehn Sekunden verdichtet, erklärt uns Jan. «Hört sich harmlos an, doch unsere Presse steht im Guiness-Buch der Rekorde. Ganze 250 000 Tonnen drücken auf eine Platte von rund drei Quadratmetern. Das Gewicht von zweieinhalb Eiffeltürmen!» Ein paar Meter weiter steht die Ofenröhre, durch welche die Platten anschliessend während Stunden laufen, bis sie eine Temperatur von 1200 Grad erreicht haben. «Hier geschieht die Magie», lacht Jan und erklärt die von Cosentino entwickelte Partikelsintertechnologie PST. Vereinfacht ausgedrückt werden die Körnchen der Dekton-Mischung erst durch den Druck und dann durch Hitze so stark ineinander gedrückt und verbacken, dass sie sich kaum näher sein könnten. Reduce to the max, mit anderen Worten. Was die Natur über Millionen von Jahren erschafft, geschieht hier in wenigen Stunden. Das Resultat ist verblüffend: Dekton hat keinerlei Poren, nimmt kaum Hitze auf, bleicht nicht aus, ist unempfindlich gegen Schnitte und Säuren und damit beinahe unverwüstlich.
Stärker aus der Krise
Im neuen Logistikcenter mit 300 000 Platten im automatisierten Hochregallager laden Laster die begehrte Fracht rund um die Uhr für Transporte in alle Himmelsrichtungen auf. Vor zehn Jahren wehte noch ganze ein anderer Wind, der jedoch auch sein Gutes hatte. Noch heute sprechen sie hier ehrfürchtig von «la crisis». Der Crash von 2008 traf den Immobiliensektor hart, die Marmorregion besonders. Von den einst 120 Steinbrüchen sind nur noch 15 in Betrieb. Das robuste und flexible Silestone, das preiswerter als Marmor war, erwies sich als rettender Anker für Cosentino. Doch wie lange würde das gutgehen? Die Antwort der Firma war die Flucht nach vorn, ein noch besseres Material musste gefunden werden. Das unternehmerische Risiko von über 120 Millionen Euro und fünf Jahre Forschung ging auf: 2013 kam Dekton auf den Markt und stellte alles Bisherige in den Schatten. Aktuell exportiert Cosentino über 85 Prozent seiner Produktion, wobei mehr als die Hälfte in die USA gehen. Die Schweiz trägt mit zwei Prozent verhältnismässig viel zum Gesamtumsatz bei.
Stehaufmännchen
Zuletzt besuchen wir das Headquarter mit dem pyramidenförmigen Glasdach. Hier laufen die weltweiten Handelsbeziehungen zusammen und hier lassen sich die neuesten Küchen- und Bäderkreationen bewundern. Geschäftige Planer besprechen den Tresenbau für eine internationale Kaffeehauskette, ein Hotelier-Paar wählt Muster für Gästezimmer aus. Im Obergeschoss treffen wir den CEO, Francisco Martinez Cosentino. Der 68-Jährige ist ein Patron alter Schule, pragmatisch und voller Elan. Als junger Mann stand er selber in der Mine. Irgendwann merkte er, dass Marmor, so schön er ist, zu teuer in der Herstellung und nicht ideal war als Küchenarbeitsplatte. Also begann er, neue Materialien zu suchen und liess sich auch von Misserfolgen nicht abbringen. Gefragt, ob sein Durchhaltewillen etwas mit der kargen Region zu tun haben könne, meint er nur: «Schon möglich. Wir sind jedenfalls Stehaufmännchen, denn wir mussten dem Boden schon immer etwas abtrotzen. Und nun machen wir aus den Bestandteilen der Natur etwas noch Besseres. Die neuen, dünnen Dekton-Fassadenplatten kommen zum Beispiel sehr gut an. Und wir entwickeln weiter, an transparentem Silestone und zusammen mit Partnern an intelligenten Oberflächen.» So etwas könnte wirklich Gold wert sein. Quasi Alchemie 3.0.
Das Unternehmen
Cosentino, seit 1940 im Almanzoratal nördlich von Almería ansässig, wird heute in der dritten Generation geführt. Die Firma ist in 40 Ländern mit eigenen Niederlassungen aktiv und betreibt weltweit 80 Cosentino Centers. Neben sieben Fabriken am Hauptsitz nahe Cantoria und einer Fabrik in Brasilien gehören auch 15 Produktionscenter für Küchen- und Badezimmerbau dazu. Cosentino eröffnet im Frühling 2019 in Eschenbach bei Schmerikon seinen neuen Schweizer Showroom.
Text: CT
aus: Häuser modernisieren, Heft Nr. 1/2019
Bezugsquelle:
Cosentino Schweiz
8732 Eschenbach-Neuhaus
Tel. 055 533 02 50
www.cosentino.com