Erbaut wurde Schloss Schadau um 1850 als prachtvolle Sommerresidenz einer Neuenburger Bankiersfamilie. Heute ist es im Besitz der Stadt Thun und als Hotel und Restaurant eine Freude für alle. Für die sorgfältige Wiederherstellung der ursprünglichen Pracht bekam es die Auszeichnung «Historisches Hotel des Jahres 2021».
Wer das Schloss Schadau zum ersten Mal sieht, glaubt sich im Märchenland: Umgeben von einem englischen Park mit alten Bäumen am Ufer des Thunersees erhebt sich vor der Kulisse der Berner Alpen ein Schloss mit Türmchen und Balkonen im Stil der Tudor-Gotik, verziert mit Renaissance-Elementen. Ein einzigartiges Baudenkmal im Stil des Historismus, ein Stil, der Elemente aus der Vergangenheit aufnimmt.
Die Thuner lieben ihre Schadau. Von morgens bis abends geniessen Menschen das Gelände am See: Jogger, Hundebesitzer, flanierende Paare und Senioren mit Rollator. Am Wochenende und bei schönem Wetter herrscht Hochbetrieb. Auf der Schlossterrasse werden Gäste bewirtet, im Haus wird gefeiert, gerne auch geheiratet. Ausflügler bestaunen und fotografieren die «Perle am Thunersee».
Vom Abbruch bedroht
Es ist nicht selbstverständlich, dass heute die Allgemeinheit die schöne Anlage geniessen kann. Wenn sich die Thuner nicht gewehrt hätten, hätte das Schloss Anfang des 20. Jahrhunderts einer Überbauung weichen müssen. Durch eine Volksabstimmung wurde es vor dem Abriss bewahrt und befindet sich seit 1925 samt Park im Besitz der Stadt Thun, die es zum Preis von 380 000 Franken erwerben konnte. Es folgte eine wechselvolle Geschichte als alkoholfreies Restaurant, als Kriegs- und später Gastronomiemuseum. In den 1950er Jahren drohte wiederum der Abriss. Dem Heimatschutz war der romantisch-verspielte Bau ein Dorn im Auge, man sprach von «widerlichem Stilgemisch». Wenn sich nicht ein Professor der ETH mit einem Gutachten für den Erhalt dieses «Hauptvertreters der Neugotik in der Schweiz» eingesetzt hätte, wer weiss…
Kunst und Komfort
Das Budget spielte keine Rolle für den ersten Schlossherrn, den Neuenburger Bankier Abraham Denis Alfred de Rougemont. Im Gegenteil, hier zeigte er, dass er es zu etwas gebracht hatte. Er liess seinen Landsitz im anglo-gallischen Stil mit moderner Haustechnik und feinstem Innenausbau ausstatten. So liess er beispielsweise eine Bodenheizung einbauen, und die innenliegenden Fensterläden sind raffiniert und praktisch unsichtbar in die Fensterlaibungen integriert. Für die prächtige Wendeltreppe in der Eingangshalle liess er einen holländischen Bildhauer kommen und die prächtigen geprägten, mit Gold und Malerei verzierten Ziegenledertapeten in den Repräsentationsräumen stammen aus Pariser Manufakturen. Sie sind noch heute zu bewundern, so schön wie anno dazumal. Hotelier Roger Lehmann, der das Haus heute als Gastgeber führt, weist seine Gäste bei der Hausführung besonders auf diese Kostbarkeiten hin. So viel vom Originalzustand zu bewahren wie möglich war ein erklärtes Ziel bei der jüngsten, 14 Monate dauernden Restauration, während der auch die neun Zimmer für Übernachtungsgäste hergerichtet wurden.
Neuer Glanz für zehn Millionen
Lehmann war von Anfang an involviert in den 10 Millionen teueren Umbau. Die Stadt Thun hatte sich im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung für sein Konzept und damit die Solbad Gastronomie AG als Pächter entschieden. Es mag eine Rolle gespielt haben, dass er in der Region aufgewachsen ist und im Schloss Schadau einst seine Schnupperlehre als Koch absolviert hat. Nach Lehr- und Wanderjahren in der ganzen Welt, Zermatt, Tessin und Bangkok, war sein Engagement hier «eine Art Heimkommen». Er ist mit jedem Detail des Gebäudes vertraut und zeigt Gästen, die das Schlosspackage buchen, gerne die Sehenswürdigkeiten des alten Baudenkmals. Da gibt es diskrete Tapetentüren, Gipswände, die im Marmor-Look bemalt sind und Holz, das keines ist, sondern ebenfalls bemalter Gips. Nur ein Schlossgespenst ist bis heute nicht erschienen. Vielleicht, weil es kein Zimmer Nr. 13 gibt. Vielleicht, weil der Dachboden nach der Renovation einfach zu sauber und aufgeräumt ist. Oder weil nach Einbruch der Dunkelheit helle Scheinwerfer die denkmalgeschützte Fassade anstrahlen.
Nah am Orignal
«Zum Glück», erläutert Lehmann, hatte man bei den diversen Umnutzungen im Laufe der Geschichte nie das Geld für einen grösseren Umbau, Wände und Tapeten wurden überklebt, verschalt oder übermalt, nicht abgerissen. So konnte im Rahmen der sorgfältigen Restaurierung 2018/19 vieles wieder freigelegt oder nah am Original wieder hergestellt werden, immer begleitet von Experten der Denkmalpflege. Die Auszeichung zum Historischen Hotel des Jahres 2021 durch ICOMOS Suisse sieht Roger Lehmann denn auch als «schönes Kompliment für das Gesamtkonzept» und als Belohnung für die jahrelangen aufwändigen Vorarbeiten bis zur Eröffnung des Dreisternehotels im Juni 2019. Das Hotel hat neun Zimmer, keines ist wie das andere. Ob Turmsuite mit Seesicht oder Zimmer mit Blick auf Park und Aare, in jedem kann man sich fühlen wie Baron und Baronesse auf Zeit. Knirschendes Parkett, ornamentale Tapeten, Pastelltöne an Türen und Wänden verbreiten den Charme vergangener Zeiten, WLAN und modern ausgestattete Bäder bieten zeitgemässen Komfort. Das Mobiliar ist neu und hochwertig, aber bewusst unauffällig, Bettwäsche und Vorhänge weiss, Bilder an den Wänden gibt es keine. Die Show gehört dem Original.
Führung inbegriffen
Wer das Schlosspackage bucht, kommt in den Genuss einer individuellen Führung durchs ganze Haus. Wer nicht, erfährt Wissenswertes zur Geschichte des Hauses in den Zimmer bereitliegenden Unterlagen. Seit kurzem gibt es einen Flyer, herausgegeben von der Stadt Thun, mit Grundriss und Infos zu acht bemerkenswerten Sehenswürdigkeiten. Die prunkvolle Sandsteintreppe im Entrée ist die Nummer Eins. Der Lieblingsplatz des Hoteliers ist darin allerdings im Flyer nicht aufgeführt, dorthin kommt man nur im Rahmen einer Führung. Über mehrere Treppen und viele Stufen geht es auf den Dachboden und von dort durch eine Falltüre auf eine kleine, aber feine Dachterrasse mit wunderbarem Ausblick.
Schloss Schadau
3600 Thun
Text: Christine Vollmer, Fotos: Schloss Schadau
aus: Häuser modernisieren, Heft Nr. 2/2021