Vor dem Umbau hätte man dieses Haus für eine Abbruchruine halten können. Nun bietet es Ruhe, Komfort und unglaublich viel Weitsicht. Ein Traumhaus für Liebhaber von Bergen und See.
In engen Kurven schlängelt sich die Strasse den Kerenzerberg hinauf. Von der Hauptstrasse zweigt eine kleinere Strasse ab. Sie mündet in einen Kiesweg, der vor einem Holzhaus mit Scheune endet. Das freistehende Haus steht auf einem Plateau hoch über dem Walensee, mit Rundumsicht von Weesen bis nach Walenstadt und von den Churfirsten bis zum Mürtschenstock. Die Aussicht ist überwältigend schön. Es riecht nach frisch geschnittenem Gras, Grillen zirpen, der Wind streicht durch die Bäume. Hier ist man der Natur nahe, obschon die Zivilisation nicht fern ist. Das Dorf, in dem es einen Laden, eine Schule und eine Wirtschaft gibt, ist in wenigen Minuten erreichbar. Nicht viel weiter ist es bis zur Autobahneinfahrt mit Anschluss nach Norden und Süden.
Erstlingswerk junger Architekten
Die Besitzer, ein Paar mittleren Alters, haben das Häuschen vor einem Jahr gekauft. Die Initiative für den Umbau war vom Vorbesitzer ausgegangen, dem auch ein beträchtlicher Anteil des Umschwungs gehört. Zuerst hatte er in Betracht gezogen, das Haus abzubrechen und einen Neubau zu erstellen, da sich das Objekt in einem sehr schlechten Zustand befand. Durch Zufall begegnete er dann aber den beiden Architekten. Die Recherchen des Architekturbüros Ruumfabrigg ergaben rasch, dass ein Neubau hier gar nicht bewilligt würde: Die Parzelle befindet sich in der Landwirtschaftszone. Die Architektin Nina Cattaneo und ihr Geschäftspartner Pascal Marx hatten sich schon während des Studiums an der ETH zusammen selbstständig gemacht. Die Arbeit am Haus über dem Walensee begann noch während der Ausbildung. Es ist ihr Erstlingswerk, das sogleich reich an Herausforderungen war. «Von aussen sah das Haus miserabel aus», erinnern sie sich. «Ein angebauter Schopf und eine Laube waren halb eingefallen, rund ums Haus standen viele Bäume. Es sah aus wie in einem Wald.» Als sie das Objekt, das zuvor längere Zeit leer gestanden hatte, zum ersten Mal betraten, trauten die Architekten kaum ihren Augen. Im Erdgeschoss türmte sich bis einen Meter hoch Unrat, der zuerst weggeräumt werden musste.
Strickbau mit Baujahr 1778
Nina Cattaneo und Pascal Marx knieten sich in die Arbeit. Sie erstellten eine Dokumentation und zeigten dem Bauherrn das Potenzial des Objektes auf. Bald war klar, dass der ursprüngliche Strickbau nur sanft saniert werden müsste. Bei der Umbauplanung für das Haus mit Baujahr 1778 half auch der Denkmalschutz mit. «Um die Fassade aussen und gleichzeitig die rohen Strickbauwände innen zu erhalten, haben wir auf eine Dämmung des bestehenden Gebäudes fast gänzlich verzichtet», erklären die Architekten. An einigen Stellen sieht man den Aussenwänden noch an, wie ursprünglich nur mit Schafwolle oder Moos gedämmt wurde. Aufs Raumklima wirkt sich das positiv aus: Weil das Haus nicht vollkommen abgedichtet ist, können die Wände «atmen». Die Bewohner empfinden das als sehr angenehm.
«Wir setzten auf erneuerbare Energien», sagen die Architekten, «das Haus wird mit einer Luft-Wasser-Wärmepumpe beheizt.» Die Wärmepumpe, ein unschöner, grauer Kasten, wurde neben der Scheune platziert, wo sie das Gesamtbild des Wohnhauses nicht stört. Die teils eingefallenen Lauben wurden durch einen neuen Anbau ersetzt. Der Anbau wurde versetzt ans Wohnhaus gebaut. Optisch unterscheiden sich neuer und alter Teil durch die Ausgestaltung der Fassaden: Der Anbau wurde mit vertikalen Holzverstrebungen versehen, die sich vom verwitterten Altholz der bestehenden Fassade abheben. Das Ensemble wirkt durch den versetzten Anbau nicht allzu mächtig und passt sich harmonisch in die Umgebung ein.
Frischer, moderner Anbau
Das ursprüngliche Haus war teilweise unterkellert; im Zuge des Umbaus wurde der Keller zugeschüttet. Ausschlaggebend dafür war der Entscheid, den Boden im Erdgeschoss, im Bereich der Wohnräume, tiefer zu setzen. Dadurch konnte wertvolle Raumhöhe gewonnen werden. In einem der Räume im Erdgeschoss wurden vor dem Umbau Teile eines alten Webstuhls gefunden. Aufgrund dieser Spuren ist anzunehmen, dass hier in früheren Zeiten Heimarbeit für die Textilindustrie geleistet wurde. Die alten Holzriemenböden und das alte Täfer wurden in beiden Wohnräumen entfernt und durch neues Holz ersetzt. Das Täfer hätte wegen der grösseren Raumhöhe ohnehin ergänzt werden müssen. Im ganzen Haus wurde beim Innenausbau Fichtenholz eingesetzt. Dieses kontrastiert schön mit dem bestehenden Altholz, das an einigen Stellen lediglich aufgefrischt wurde.
Die Fensteröffnungen mussten erhalten werden; zusätzliche oder grössere Fenster wären am alten Hausteil nicht bewilligt worden. Mit dem Anbau, der über grosszügige Fenster verfügt, konnte jedoch sehr viel Tageslicht in die Räume geholt werden. Küche und Essraum, die offen gestaltet sind, profitieren besonders. Der frische, moderne Eindruck wird durch den dezenten Blauton der Küche und die praktische Kochinsel unterstrichen. Auf eine hängende Dunstabzugshaube verzichteten die Architekten aus ästhetischen Gründen. Sie entschieden sich für einen Abzug, der seitlich ins Kochfeld integriert ist und darin verschwindet. Vor der Küche befindet sich eine der beiden Terrassen, die bei schönem Wetter den Wohnraum erweitern.
Ein Gefühl von Grosszügigkeit
Die diskrete Verschränkung von Alt und Neu setzt sich im Obergeschoss fort. Die Treppe, die sich vorher beim Eingang befand, wurde abgebrochen und durch eine neue Holztreppe ersetzt. Sie führt von der Küche nach oben, in die privaten Räume. Vom Treppenabsatz gelangt man ins Büro, ins Ankleide- und von dort ins Schlafzimmer. Die kleinräumige Aufteilung, die zu dem historischen Haus passt, wurde im Obergeschoss grundsätzlich beibehalten. Das Badezimmer, in dem auch ein Waschturm Platz fand, wirkt durch die Öffnung bis zur Dachuntersicht grosszügig. In den quadratischen Wandplatten findet sich der Blauton aus der Küche wieder. Die Trennwand aus Glas zwischen Badewanne und Dusche trägt zum Gefühl von Grosszügigkeit im Raum bei. Das Haus wurde schliesslich um ein zeitgemässes Detail ergänzt: eine Garage, die seitlich an die Hauswand angebaut wurde. In der Einzelgarage befindet sich die Haustechnik, sie wird aber, da kein Keller vorhanden ist, auch als Stauraum geschätzt. Wer hier nach einem langen Arbeitstag mit dem Auto ankommt, spürt sofort die Ruhe und die Nähe zur Natur. Mit ein wenig Glück zeigen sich ums Haus sogar Gämsen und Rehe.
Text: Rebekka Haefeli, Fotos: Douglas Mandry, douglasmandry.com
aus: Häuser modernisieren, Heft Nr. 4/2018
Architektur:
Ruumfabrigg Architekten GmbH
Nina Cattaneo & Pascal Marx Architekten ETH
8758 Obstalden
Zweigniederlassung
8048 Zürich
Tel. 044 544 29 43
www.ruumfabrigg.ch